Gedanken über Möglichkeiten von Inklusion und Selbstbestimmung in Heimen

EIN GASTBEITRAG VON HELGA HELENA LIEBECKE

Barrierefreies Wohnen ist nicht mit dem Bau einer schrägen Auffahrt oder einem Lift abgetan. Ich möchte hier einmal berichten, was ich als Mutter beobachtet habe, seit meine Tochter im Mai 2023 in ein Heim ziehen musste: Es gibt, aus meiner noch relativ beschränkten Sicht, Ideen für Veränderungen, um die Durchsetzung des Konzeptes eines zunehmend inklusiven und selbstbestimmten Lebens in Angriff zu nehmen.

Bevorzugt war von meiner Tochter und mir die „Villa am Palmengarten“, mit zugänglichen und aufgeschlossenen Pädagog:innen, die den Bewohner:innen tatsächlich helfen, so selbständig zu werden, dass sie eines Tages in einer ganz anderen Wohnform leben können. Die Erfahrungen aus Einrichtungen wie der „Villa am Palmengarten“ sollte mehr in andere Heime getragen werden, in denen noch nicht gewagt wird, Neues auszuprobieren und man sich damit zufrieden gibt, dass Heimbewohner:innen ruhig und angepasst sind. Leider konnten wir für meine Tochter keinen Platz in der „Villa am Palmengarten“ bekommen.

Ich wünsche mir, offene Gespräche zwischen Eltern, Betreuer:innen und Bewohner:innen. Leider habe ich das Gefühl, in dem Heim, in dem meine Tochter aktuell lebt, nicht besonders gern gesehen zu sein. Besucher:innen bringen den gewohnten monotonen Alltag durcheinander. Ein streng strukturierter und eintöniger Alltag macht die Bewohner:innen aber immer farbloser, ängstlicher und behinderter. Dabei böten gerade Besucher:innen die Chance ein inklusives Leben anzuschieben. Gäste könnten mit den Bewohne:iInnen spielen, sprechen, rechnen, lesen, tanzen, singen usw. Das würde keinen Cent kosten, aber alle bereichern.

Ich habe beobachtet, dass die Pfleger:innen die Mahlzeiten alleine vorbereiten. Es kostet natürlich erst mal Geduld und viel Feingefühl, die Bewohner:innen zu befähigen, Obst und Gemüse zu säubern und zu zerkleinern. Am Ende haben aber doch alle gewonnen. Die Geschickteren werden Anderen auch gern ihre Fertigkeiten zeigen.

Leider passiert in diesem Heim nach dem Abendessen um 18 Uhr kaum noch etwas, die Bewohner:innen sollen gleich danach duschen und sich bereits Nachtwäsche und Bademäntel anziehen.

Meine Tochter hatte bis zu ihrem Wechsel ins Heim jeden Mittwoch um 19 Uhr ihre geliebte Freizeitgruppe besucht, die gemeinsam in Museen, in den Zoo, wandern oder in den Biergarten ging. Sie leidet darunter, dass sie nicht mehr ihre Freund:innen dort treffen darf. Auch der Besuch des Chors der „Villa Palmengarten“ ist ihr im Moment nicht erlaubt.

Im Winter hatte meine Tochter einen Kurs Rechnen an der Volkshochschule im Rahmen des Alphabetisierungsprogramms der Stadt angefangen, der jetzt weiter gehen soll.
Im April konnte der Kurs im Grundrechnen leider nicht stattfinden, weil es nur fünf Anmeldungen gab, es sollten aber mindestens sechs sein. Ich kann nicht nachvollziehen warum sich nur so wenige angemeldet haben, da es allein im Heim so viele Bewohner:innen  gibt, die solche Förderung bräuchten. Sie wurden aber gar nicht erst gefragt, ob sie dahin gehen möchten. Die Bewohner :innen könnten mit der Straßenbahn gemeinsam dorthin fahren. Es sollte ihnen einmal gezeigt und dann zugetraut werden.

Nicht klar ist mir bisher geworden, warum die Gruppe, die täglich in der Werkstatt arbeitet, mit dem Fahrdienst hin und zurück fahren muss. Es dürfte wesentlich preiswerter sein, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Was zugleich die Möglichkeit geben würde, selbständiger zu werden. Wir sind von Berlin nach Leipzig gezogen, wo meine Tochter jahrelang täglich zu ihrer Arbeit mit U- und S-Bahn fuhr, und nach der Arbeit oft noch zweimal in der Woche in ihr Theaterprojekt. Für sie ist das streng organisierte Fahren ein großer Rückschritt.

Einer Außenstehenden fällt auch auf, dass die Gestaltung des schönen Gartens noch kein gemeinsames Projekt der Bewohner:innen und Pflegekräfte ist, woran alle gemeinsam Freude haben und wachsen könnten.

Einmal zeigte uns ein Bewohner stolz drei Hühner im Hof. Er war traurig, nicht mit der Fütterung beauftragt zu sein. Das mache der Hausmeister. Nach zwei Wochen waren die Vögel leider auch wieder verschwunden, waren nur zur Ansicht geliehen worden. Vielleicht könnte man auch wirklich ein paar Hühner halten, und ein oder zwei Katzen.

In Heimen kann man durchaus praktische Fertigkeiten lernen und seine Kompetenz im Umgang miteinander erweitern. Ein Aufenthalt in einer stationären Einrichtung sollte allerdings, für die meisten Menschen mit Einschränkungen begrenzt sein. Denn Entwicklungsmöglichkeiten, Selbstbestimmung und Inklusion sind nur sehr begrenzt möglich.

Die Kosten für solche Heimplätze sind sehr hoch. Mittlerweile gibt es Wohngruppen in vertrauten Wohngebieten, Betreutes Wohnen, ambulante Pflegedienste, die ihre Hilfen anbieten. Es gibt die Möglichkeit, eine Assistenz zu bekommen, das Persönliche Budget. Das alles ist wesentlich preiswerter als ein Heimplatz. Oder?
In der Jugendhilfe werden gerade, auch gesetzlich flankiert, die Heime abgebaut. Hier kostet meines Wissens ein Platz 70.000 Euro im Jahr. Was könnte man in der Familie oder in einer harmonischen, liebevollen Wohneinrichtung mit so viel Geld anfangen! Man bräuchte einen Bruchteil davon, und jeder könnte auch viel freier und selbstbestimmter leben.